Wenige wissen, dass die unbefristete Hungerstreik-Aktion der revolutionären Gefangenen in der Türkei aktuell nur noch von Anhängern einer einzigen Organisation, der DHKP-C weitergeführt wird. Es sterben weiterhin Hungerstreikende, weil der faschistische Staat nicht zu einem einzigen Zugeständnis bereit ist. Das letzte Todesopfer ist der 99. verstorbene Revolutionär, İmdat S. Bulut am 19. November im staatlichen Krankenhaus.**)
Die Aktion wurde vor nun über zwei Jahren, am 20.10.2000 mit einer Hungerstreikaktion von drei revolutionären Organisationen, der DHKP-C, der TKP (ML) und der TKIP begonnen, um gegen den Bau der F-Typ-Gefängnisse und die geplante Verlegung der revolutionären Gefangenen zu protestieren. „Nein zu den F-Typ-Gefängnissen“ und „Auch wenn wir sterben, wir werden nicht in die F-Typ-Gefängnisse reingehen“ waren die Hauptparolen und -forderungen der Aktion. (Siehe die Hungerstreikerklärung der drei Organisationen vom 19.10.2000) Die übergroße Mehrheit der revolutionären Organisationen im Knast fand den Zeitpunkt des Beginns und die Form der Aktion nicht richtig, und beteiligten sich zuerst nicht daran. Trotzdem wurde, um den Erfolg der Aktion nicht zu gefährden, auf öffentliche Kritik verzichtet.
Die drei Organisationen haben die Aktion am 20.11.2000 in das sogenannte Todesfasten umgewandelt. Die Aktion fand außerhalb der Knäste nach und nach mehr Resonanz, so dass die Regierung Mitte Dezember 2000 die Verschiebung der Öffnung der F-Typ-Gefängnisse bekanntgeben musste und das Ende der Hungerstreikaktion forderte. Die Reaktion der Hungerstreikenden war die Erklärung, die Aktion solange weiterzuführen bis die F-Typ-Gefängnisse überhaupt geschlossen werden.
Der Staat reagierte am 19. Dezember mit einem faschistischen Generalangriff und einem fürchterlichen Massaker, bei dem 32 Revolutionäre ermordet wurden, und die Überlebenden gewaltsam in die F-Typ-Gefängnisse verbracht wurden.
Auf dieses Massaker reagierten die revolutionären Organisationen mit der Ausweitung der Aktion. Es waren jetzt nicht mehr drei Organisationen, sondern es wurden erst 10, dann 12 Organisationen, die nun in den unbefristeten Hungerstreik, „Todesfasten“ traten.
Es zeigte sich aber, dass diese Aktion nur auf die revolutionären Organisationen und ihr engstes Umfeld begrenzt blieb. Die Solidarität der breiten werktätigen Massen konnte nicht mobilisiert werden. Gegen die Zensur und völlige Gleichschaltung der faschistischen Medien konnte die Mauer des Schweigens nicht wirklich durchbrochen und eine Unterstützungsfront aufgebaut werden. In dieser Situation das Todesfasten weiterzuführen war taktisch nicht mehr richtig.***)
Einige beteiligte Organisationen haben sich im Laufe der Zeit ohne Erklärung von der Aktion zurückgezogen, so z.B. die TKIP.
Am 28. Mai 2002 nach vielen Toten und mit dem Runterschrauben der Forderungen an den Staat, die alle aber nicht verwirklicht wurden, haben 8 Organisationen mit einer Erklärung den Hungerstreik beendet. In dieser Erklärung wird behauptet, die Todesfastenaktion hätte „ihre revolutionäre Rolle erfüllt“, obwohl keine einzige Forderung der Aktion erfüllt worden ist.
Die DHKP-C und TKEP/L erklärten, dass sie die Aktion weiterführen. Die TKEP/L, die mit zwei Gefangenen bei der Aktion teilnahm, hat sich nach einer Weile auch zurückgezogen.
Nun wird die Aktion allein von der DHKP-C weitergeführt, die allen anderen Organisationen faktisch “Verrat“ vorwirft, und sich als „alleinige Vertreterin der einzig revolutionären Widerstandsaktion in der Türkei“ hinstellt.
Es sind noch 22 RevolutionärInnen, die sich an der Grenze des Todes befinden, und wie die DHKP-C sagt, „auf den Märtyrertod“ warten. Da die DHKP-C die Aktion nach ihrer Aussage weiterführen wird, bis die „Mauern fallen“, heißt das unter den heutigen Bedingungen, dass weitere revolutionäre Gefangene sterben werden.
Wir sehen es auch als unsere Schwäche an, dass der faschistische türkische Staat nicht zu Zugeständnissen gezwungen werden konnte. Der heroische Widerstandsgeist der revolutionären Gefangenen konnte in der BRD nicht ausreichend unterstützt werden. Wir haben versucht mit unseren wenigen Einflussmöglichkeiten sowohl materielle als auch politische Unterstützung zu geben. Aber die blieb viel zu begrenzt, das ist Ausdruck unserer Schwäche und der Schwäche der revolutionären Bewegung in der BRD (und nicht nur da!) insgesamt.
Wir halten es für einen Ausdruck auch der internationalen Solidarität unsere Meinung zu sagen, dass unter den aktuellen Bedingungen wir es für falsch halten, diese Aktion so weiterzuführen. Das schränkt unsere Solidarität nicht ein. Wir sind solidarisch mit dem Kampf gegen die F-Typ-Gefängnisse und mit der Forderung „Weg mit den F-Typ-Gefängnissen“, keine Iso-Haft für die revolutionären Gefangenen. Wir sind solidarisch mit den Hungerstreikenden. Wir versuchen die medizinische Versorgung der schwer kranken RevolutionärInnen zu unterstützen.
Wir sehen es als vordringliche politische Aufgabe an, „unseren“, den deutschen Imperialismus mit seiner rot-grünen Regierung als Ziehvater des türkischen faschistischen Staates anzuprangern.
*) Die Kritik von Bolşevik Partizan an dem Begriff „Todesfasten“ teilen wir. „Fasten“ ist ein vollkommen religiös besetzter Begriff, der für einen revolutionären Kampf ein ganz falsches Bewusstsein transportiert. Richtig wäre vom unbefristeten Hungerstreik zu sprechen.
**) Die Zahl der Toten hat sich am 1. Dezember 2002 auf 101 erhöht.
***) Zu diesem Zeitpunkt hat die BP KK/T mit einem Brief an
die revolutinären Organisationen reagiert.
Wir dokumentieren hier Auszüge des Briefes (aus BP Nr.
142/2002):
„Die Hauptlosungen der Todesfastenaktion vor dem 19 Dezember
waren ‚Auch wenn wir sterben, in die F-Typ Gefängnisse werden
wir nicht reingehen!‘, ‚Die Zellen bedeuten Tod, wir werden
nicht in sie reingehen!‘. Diese Anspüche von uns haben wir sehr
begrenzt in die Tat umsetzen können. Ein Teil von uns starb im
Kampf gegen F-Typ-Gefängnisse, sie konnten nicht von
Herrschenden in die Zellen eingepfercht werden. Aber
letztendlich waren die Kräfteverhältnisse so, dass wir nicht
imstande waren die F-Typs zu verhindern. Die Herrschenden haben
im Falle der revolutionären Gefangenenen die F-Typs in die
Praxis umgesetzt. Sie haben auch nicht vor, diesen Schritt
irgendwie rückgängig zu machen. Die einzige Kraft, die die F-Typs
wirklich verhindern bzw. aufheben kann, ist die Kraft der
Arbeiterklasse und der werktätigen Massen. Das ist auch die
Kraft, die die Herrschenden zu einigen Zugeständnissen bewegen
könnte.
Leider ist es aber momentan so, dass die Arbeiterklasse und die werktätigen Massen in ihrer übergroßen Mehrheit desinteressiert sind an dem Thema F-Typ-Gefängnisse und dem Kampf dagegen. Sie sehen das Problem F-Typs nicht als ihr eigenes Problem und den Kampf dagegen nicht als ihren eigenen Kampf. Der Kampf gegen die F-Typ-Gefängnisse ist vor dem 19. Dezember hauptsächlich als ein Kampf der revolutionären Organisationen, ihrer nächsten organisierten Umgebung und eines Teils der Familien der revolutionären Gefangenen gelaufen. Es war ein militanter Kampf, dessen Massenunterstützung aber sehr schwach war. Als die Aktion soweit war, dass jederzeit Tote erwartet wurden, gerieten auch Teile der liberalen Öffentlichkeit in Bewegung, diese Entwicklung wurde aber sehr schnell durch verschiedene Manöver gestoppt. Nach dem 19. Dezember gab es unter den revolutionären Organisationen eine größere Solidarität untereinander. Aber die Solidarität von Nichtorganisierten, die sowieso sehr schwach war, ging gegen Null zurück.
Momentan ist es so, dass die Todesfastenaktion durch die massive Unterdrückungspolitik des Staates aus der Tagesordnung der Medien –damit aber auch von der Tagesordnung der breiten Massen– völlig –sogar als Negativpropoganda– gestrichen ist, obwohl über 100 Revolutionäre im Angesicht des Todes stehen. Die Aktion wird völlig totgeschwiegen. Auch in der vor uns liegenden kurzen Zeitspanne –sagen wir in einer Zeitspanne von 2-4 Wochen– wird sich an dieser Situation nichts wesentliches ändern. Wir haben aber keine Zeit zu verlieren, zu warten.
Wenn wir uns so verhalten, als ob nichts geschehen wäre, uns auf die Position zurückziehen: ‚Die revolutionären Gefangenen wissen am Besten, was zu tun ist. Sie sind entschlossen das Todesfasten weiterzuführen‘, wird das Ergebnis sein, dass dutzende revolutionäre Gefangene sterben oder aber verkrüppelt werden. Es sieht heute so aus, dass unter gegebenen Umständen mit der Todesfastenaktion revolutionärer Organisationen es unmöglich ist, die Massen in Bewegung zu setzen und so den Staat in der Frage der F-Typs zurückzudrängen.
Im Falle dass wir diese Aktion unter gegebenen Bedingungen so weiterführen, wird uns in einer kurzen Zeitspanne, die vor uns liegt, nichts anderes bleiben als unsere Toten zu Grabe zu tragen und uns gegenseitig über die revolutionäre Entschlossenheit unserer Genossen zu erzählen. Diese Entschlossenheit ist aber hunderte Male bewiesen, und braucht nicht noch einmal bewiesen werden. Wir können darüber hinaus in verschiedenen Aktionen uns mit Bullen prügeln, können hinausschreien, dass die Revolutionäre sich nicht ergeben, können in gezielten ‚Fedayeen-Aktionen‘ bestimmte Volksfeinde vernichten etc. Aber entscheidend ist doch die Bewegung der werktätigen Massen. Können wir mit solchen Aktionen der Revolutionäre die Massen in Bewegung setzen? Die Praxis zeigt, dass wir dazu mit solchen Aktionen momentan nicht imstande sind. Am Ende bleiben viele unserer Ansprüche in der Luft hängen. Wir verlieren eine Reihe revolutionäre Menschen. Es ist nicht leicht, diejenigen, die in der Praxis dutzende Male bewiesen haben, dass sie bereit sind ihr Leben für die Sache der Revolution zu opfern, zu ersetzen.
Nun befinden sich die leitenden Organe der revolutionären Organisationen, vor allem die der Organisationen, die die Aktion begonnen haben, unter großer Verantwortung. Denn die revolutionären Organisationen können mit einem gemeinsam gefassten zentralen Beschluß die revolutionären Gefangenen in den faschistischen Knästen zum bewussten Aussetzen der Todesfastenaktion aufrufen. Mit einem solchen Aufruf können wir die Initiative, die wir am 19. Dezember verloren haben, wieder in unsere Hände nehmen.
Wir sind der Meinung, dass unter gegebenen Bedingungen die leitenden Organe der revolutionären Organisationen gemeinsam das Aussetzen der Todesfastenaktion erklären sollen.
Ein solcher Verzicht auf die Todesfastenaktion zum jetzigen Zeitpunkt heißt nicht aufzugeben, die Niederlage zuzugestehen etc.
Nein, der Kampf gegen die F-Typ-Gefängnisse, gegen die Isolationshaft soll sowohl in Knästen als auch draußen weitergeführt werden. Um in diesem Kampf immer mehr Arbeiter und Werktätige hineinzuziehen, muß das Maximum dessen, was möglich ist, gemacht werden.
Die Todesfastenaktion in den Knästen soll zum jetzigen Zeitpunkt von den revolutionären Organisationen bewusst gestoppt werden, um revolutionäre Gefangene, die dutzende Male bewiesen haben, dass sie für ihre Ziele auch den Tod in Kauf nehmen, dem sicheren Tod zu entreißen. Anstatt dessen soll die Aktion in einen unbefristeten, rotierenden Hungerstreik in den Knästen, die von allen revolutionären Organisationen getragen werden, umgewandelt werden. Die Aktion soll sowohl zeitlich als auch massenmäßig erweitert werden. (…) Dies ist ein Schritt, um unsere Genossen im Angesicht des Todes, dem Tode zu entreißen, damit sie weiter für die Revolution kämpfen können.
20. Januar 2001“
Dieser Brief von Bolşevik Partizan wurde von keiner einzigen revolutionären Organisation offiziell beantwortet.
(Entnommen aus „Trotz alledem“, Zeitung für den Aufbau der Bolschewistischen Partei Deutschland, Nr. 26, Ausgabe Dezember 2002.)